Grausam und genial
Im Neuen Testament steht, dass Herodes die Weisen aus dem Osten verschlagen zu hintergehen versuchte und kaltblütig die Kinder Betlehems ermorden ließ. Das hat sein Bild festgemeißelt: Er ist bekannt als der missgünstige Machtpolitiker, der an seinem Stuhl klebt und den Messias töten will.
In seiner Schrift Antiquitates Judaicae zeichnt ihn der jüdische Schriftsteller Flavius Josephus im 1. Jh. teilweise mit fast teuflischen Zügen. Auch diese, durch die Jahrhunderte äußerst beliebte Schrift hat Herodes’ schlechten Ruf untermauert: böse, machthungrig, paranoid, taktierend, falsch, abgründig, intrigant. Die neuere geschichtswissenschaftliche Forschung hat ein ganz anderes Bild des Herodes aus den schriftlichen Quellen und den archäologischen Zeugnissen entworfen. Wer sich in Zeiten römischer Bürgerkriege an die Macht manövriert und sich dann 40 Jahre ebendort halten kann, zudem Städte, Paläste und Tempel baut, diplomatische Drahtseilakte besteht, aus der Provinz bis nach Rom hin Einfluss geltend machen kann, wer all die Brüche in seiner Herkunft, seinem Territorium und in seiner untergebenen Bevölkerung kontrollieren kann – der muss schon ein Mensch mit außergewöhnlichen Energien und Managerqualitäten gewesen sein.
Die neuste Ausgabe der Zeitschrift „Welt und Umwelt der Bibel“ vereint Beiträge renommierter Historiker und Theologen, die den aktuellen Forschungsstand darstellen. So erscheint Herodes zwar aus heutiger Sicht immer noch als grausamer Herrscher; er war aber wohl nicht grausamer als andere Machthaber seiner Zeit. Dieses Heft bietet die Gelegenheit, sich differenziert mit dieser zeitgeschichtlichen Figur aus der Welt des Neuen Testaments zu befassen.